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Foto: © Lucas Wesney

Lässt sich Zukunft erzählen?

Narrationsforscher und Organisationsberater Michael Müller im Gespräch mit Wolfgang Tonninger

Wenn ich an so etwas wie digitale Transformation denke, dann habe ich das Gefühl, dass die Geschichten, die in diesem Zusammenhang erzählt werden, beides sein können: Monstergeschichten und Übergangsgeschichten. Oder liege ich da falsch?

Nein, gar nicht. Es geht immer darum, in welchem Kontext Geschichten erzählt werden und wie sie auf Herausforderungen reagieren. Vor diesem Hintergrund kann es in der Tat sein, dass die einen Digitalisierung als eine geschlossene Geschichte erzählen: „Entweder wir passen uns an oder wir gehen unter!“ Und die anderen das gleiche Thema als Chance begreifen, sich zu öffnen: „Wir sehen in der Digitalisierung eine Möglichkeit, uns ganz neu auszurichten!“ Wichtig bei diesen offenen Geschichten ist, dass die Vision nicht in jedem Detail ausgemalt ist. Am besten ist es, wenn sie im Kern prägnant genug sind, um die Vorstellungskraft zu nähren, am Rand jedoch unscharf bleiben, damit Diversität bei der Auslegung möglich ist.

Woran mangelt es bei Unternehmensvisionen am meisten?

Dass man sich einerseits viel zu sehr auf die betriebswirtschaftlichen Aspekte der Vision konzentriert (und nicht an den Sehnsüchten anknüpft) und zum anderen viel zu sehr auf das Ziel fixiert ist und nicht auch auf den Weg dorthin. Mit dem Effekt, dass die Menschen nicht mitgenommen werden.

Ich glaube, es gibt immer noch eine große Scheu, das mitzunehmen, was in der rechten Gehirnhälfte passiert – auch wenn Storytelling boomt wie noch nie. Was dabei übersehen wird, ist, dass dort – im episodischen Gedächtnis – die Geschichten zuhause sind. Wie kann man Unternehmen dazu bringen, für sich diese Dimension zu erschließen?

Indem man ihnen klar macht, dass diese – mitunter auch negativen und jede offizielle Strategie unterminierenden – Zukunftsgeschichten im Unternehmen ja immer schon erzählt und in informellen Runden weitergegeben werden. Egal, ob sich das Management dazu entschließt, sie zu hören oder nicht. Und dass diese informellen Geschichten in den Köpfen der Mitarbeiter und Kunden die Realität des Unternehmens mitgestalten – egal, ob wir wollen oder nicht.

Die Realität in Unternehmen schaut doch vielfach so aus, dass in der Lobby die Visionsposter hängen, in den Gängen rund um die Kaffeemaschine, wenn Sie so wollen, was ganz anderes gelebt wird. Das heißt, dass es viele Unternehmen gibt, die ihren Mitarbeitern jeden Tag eine schizophrene Spaltung zumuten.

So könnte man es formulieren (lacht). Fakt ist, dass schon die Organisationsforschung der 1990er Jahre herausgefunden hat, dass es in jedem Unternehmen zwei Ebenen gibt: die unsichtbare Ebene, auf der Glaubenssätze, verborgene Regeln, Narrative (wie „Ein guter Einkäufer quetscht seine Lieferanten aus …“) abgelegt sind, und die offizielle Ebene der Organigramme, Prozesse, Leitbilder, Werte. Der narrative Zugang nimmt beide Ebenen ernst und schaut, ob sie zusammenpassen. Dass sich die Ebenen widersprechen, zeigt sich oft in einem – aus der Sicht der Führungskräfte – unerklärlichen Verhalten: „Warum tun die Mitarbeiter das? Es ist doch klar definiert, dass das so oder so ablaufen muss.“ Der Punkt ist, dass es für die Mitarbeiter Sinn macht, sich anders zu verhalten. Deshalb muss man das Unternehmen im Kopf kennen, wenn man als Organisationsberaterin hier passend intervenieren will.

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