
Den Blick auf das Ganze gerichtet
von Aleksandra Nagele
Sylt im Herzen
Hätte Natalie Flatz einen anderen Weg eingeschlagen, dann wäre sie womöglich Ärztin geworden. Oder sie würde mit einem Hund auf Sylt leben und dort einen Buchladen führen. In die Insel verliebte sie sich vor gut zehn Jahren: „Mich hat sofort das Raue und Widersprüchliche an dieser Insel angezogen – die Dünen, die langen Sandstrände, vor allem aber die Ruhe, die sie dort findet, sobald sie den Fuß auf „ihre“ Insel setzt.“ Besonders angetan haben es ihr die Gegensätze, die diese Insel verkörpert und die gerade in der Hochsaison so spürbar sind. „Für mich sind diese Gegensätze ein Synonym für unser aller Leben – das beständige Ringen um ein friedliches Miteinander. Und die Notwendigkeit, deshalb auch einmal Kompromisse einzugehen, dann aber wieder für Themen einzustehen, die einem wichtig sind.“
Anstatt einen Buchladen auf Sylt zu führen, leitet die Vorarlbergerin heute die Division International Wealth Management der Liechtensteinischen Landesbank und führt 280 Mitarbeitende. In ihrem Bereich sind Private Banking Österreich, internationales Private Banking und das Geschäft mit institutionellen Kunden an allen drei Buchungszentren der LLB-Gruppe zusammengefasst. Zudem ist Flatz Aufsichtsratsvorsitzende der LLB Österreich sowie der LLB Bank. „Im Leben geht es nicht darum, alle Optionen, die möglich wären, zu nutzen“, meint Flatz. „Dann läuft man Gefahr, alles ein wenig und nichts richtig zu machen.“ Stattdessen gelte es, die Fülle der Möglichkeiten wahrzunehmen und sich dann bewusst für einen Weg zu entscheiden.
„Es ist ein bisschen wie beim Erklimmen eines Leuchtturms auf Sylt“, schmunzelt Flatz. „Wenn man oben ist, geht es darum, innezuhalten, den Blick 360 Grad schweifen zu lassen und das Ganze zu überblicken, statt sich nur auf einen kleinen Ausschnitt zu fokussieren. Nur so kann man gut überlegte Entscheidungen treffen. Für mich selbst, privat, aber ganz besonders in meiner Funktion in der Bank, ist dies eine der wichtigste Eigenschaften, die ich im Laufe der Jahre gelernt habe.“

Chance ergriffen, Sprung gemacht
Natalie Flatz kann das heute recht gut, ein normaler Arbeitstag fordert Dutzende Entscheidungen von ihr. Doch das war nicht immer so. Zum Beispiel als die junge Natalie mit Mitte 20 den Pfad in Richtung Finanzwelt einschlägt. Damals sucht der Liechtensteinische Bankenverband einen österreichischen Juristen mit vertieftem Wissen im Europarecht. Die junge Juristin kommt gerade vom Auslandsjahr in Maastricht bei der Europäischen Kommission zurück, bewirbt sich und bekommt den Job. „Ich habe es einfach probiert”, erinnert sie sich. Und dort, wo sie ankommt, ist sie goldrichtig. Alles fügt sich, sie gibt ihr Bestes, widmet sich mit 120 Prozent ihren Aufgaben – ganz ihrem Naturell entsprechend. Ihr Engagement und Potenzial bleibt nicht unbemerkt, sodass Natalie gezielt weiter gefördert wird. Für die Montafonerin, die in Oberlech am Arlberg auf 1.650 Metern Seehöhe aufwuchs, beginnt zu diesem Zeitpunkt ihr Karriereweg nach oben.
Wenig später wechselt Natalie Flatz zur VP Bank in den Fondsbereich, mit nur 31 Jahren steigt sie zur Führungskraft auf. „Es ist schon gewöhnungsbedürftig, wenn du gerade noch Kollegin bist und plötzlich dein eigenes ‚Gspänli‘, also deine bisherigen Kollegen und Kolleginnen plötzlich als Chefin führen sollst.“ Zudem begleitet sie als Frau immer wieder das Gefühl, nicht unbedingt mehr leisten zu müssen, aber entschiedener auftreten zu müssen, um ernst genommen zu werden: „Wir Frauen gelten schnell als empathisch, mitunter als empfindlich. Das wird von manchen als Schwäche empfunden. Mittlerweile halte ich das für eine große Stärke. Doch damals wollte ich mir selbst – und anderen – beweisen, dass ich mich durchsetzen und konsequent führen kann. Rückblickend war ich in manchen Situationen dadurch viel härter als nötig. Heute gehe ich damit anders um, und mir ist wichtig, nicht nur als Funktionsträgerin wahrgenommen zu werden, sondern als Mensch, der eine klare Linie verfolgt und dabei seine Menschlichkeit und Anteilnahme nicht verliert.“
Dem Fondsgeschäft ist sie auch in ihrer aktuellen Funktion treu geblieben. Ein besonderes Herzensprojekt ist das „Fonds Powerhouse“, das Flatz mit ihrem Team entwickelt und aufgebaut hat. „Mit dem Fonds Powerhouse bieten wir in den Heimatmärkten Liechtenstein, Österreich und der Schweiz Produkte und Dienstleistungen nach dem ‚One-Stop-Shop‘-Konzept an. Privatkunden, unabhängige Vermögensverwalter, Family Offices und andere Fondspromotoren haben die Möglichkeit, das für sie passende Domizil für die Auflegung ihres Fonds zu wählen. Dabei schätzen sie unsere umfassende Expertise an allen Standorten sowie die Sicherheit, die wir als Bank mit Hauptsitz in Liechtenstein bieten.“

Gemeinsam auf Augenhöhe
Vor allem das Miteinander schätzt Natalie Flatz in der LLB sehr. Es ist ihr eine echte Herzensangelegenheit, mit den Menschen, die sie führt, ein tiefes Vertrauensverhältnis zu schaffen. Sie möchte ein Umfeld aufbauen, in dem jeder sich gegenseitig unterstützt, füreinander da ist und sich voll und ganz aufeinander verlassen kann – ein Ort, an dem Zusammenarbeit und Respekt die Grundlage für gemeinsamen Erfolg bilden.
„Ich lebe, leide und freue mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen und wenn ich bei Problemen helfen kann, dann mache ich das. Doch genauso notwendig ist es dabei, mich auch abzugrenzen.“ Zunächst mag das wie ein Widerspruch klingen. Doch im Gespräch wird klar, dass das ganz und gar kein Widerspruch ist, vielmehr ist es ein ständig notwendiges Ausbalancieren. In den fast 20 Jahren, in denen sie Menschen führt, hat sie gelernt, dass keine Anweisung und keine Kontrolle so gute Leistungen hervorbringt wie Vertrauen und das Schaffen klarer Handlungsspielräume. Einmal wurde ihr gesagt, dass sie mit natürlicher Autorität führe – hart, aber stets mit Herz. „Darauf bin ich stolz: Die Menschen folgen mir nicht, weil ich ihnen ständig sage, dass ich ihre Chefin bin, sondern weil sie gerne für und mit mir arbeiten.“
Zwischen zwei Rhythmen
Noch sitzen wir hier im Besprechungsraum der LLB Österreich in der Heßgasse direkt beim Schottentor, ganz in der Nähe der Freyung im ersten Bezirk. Natalie Flatz steht am Fenster, ihr Blick schweift auf die Straße. Unten wuselt es, vermutlich sind es Studierende vom Juridicum nebenan. Mit Blick auf die jungen Menschen, die möglicherweise einmal selbst Führungsverantwortung tragen werden, sagt sie: „Nähe ist gut, sie darf aber nicht den Blick für klare Entscheidungen trüben. Als Führungskraft darfst du nie vergessen, dass du auch in der Rolle des Chefs oder der Chefin bist.”
Etwas später wird mir Natalie Flatz noch die Dachterrasse zeigen – und damit an diesem grauen, nebligen Dezembermorgen in Wien erneut ganz wörtlich meinen Horizont weiten. Regelmäßig reist sie für eine Woche nach Wien. Natalie Flatz lebt und arbeitet aber seit mehr als 20 Jahren in Liechtenstein. Sie sei eine waschechte Vorarlbergerin, Liechtenstein ist jedoch ihr zweites Zuhause geworden. Ihr Arbeitstag in Wien hat an diesem Tag bereits um sieben Uhr morgens begonnen, ein früher Start, der im Liechtensteiner Büro durchaus üblich ist. „Das musste ich auch lernen“, lacht Flatz. „Mit Terminen um 7:00 Uhr früh mache ich mir in Wien keine Freunde, dafür treffe ich meine Kollegen aber abends lange an. Es ist fast schon ein bisschen wie eine kleine Zeitverschiebung in Richtung Osten“, schmunzelt Natalie Flatz.
Und das ist längst nicht der einzige Unterschied, den sie zwischen Liechtenstein und Österreich beobachtet: „In Liechtenstein und auch in Vorarlberg ist man recht schnell beim Du-Wort. Diese Du-Kultur macht uns zwar nahbar, doch bis echtes Vertrauen entsteht, braucht es ein wenig Zeit. Ganz anders ist es hier: Je weiter ich mich Richtung Salzburg oder Wien bewege, desto offener und extrovertierter werden die Menschen, auch wenn ich sie nicht kenne.“

Handschlagqualität im Miteinander
Unabhängig von den verschiedenen Standorten gibt es eine wesentliche Gemeinsamkeit in der LLB, die für sie entscheidend ist: „Ich erlebe uns alle als sehr bodenständig und direkt, das schätze ich unheimlich.“ Ein Wert, der für Natalie Flatz in der im Juli 2024 neu akquirierten Zürcher Kantonalbank Österreich AG – jetzt LLB Bank AG – genauso spürbar ist wie in der LLB: „Ich kann mich auf die Leute verlassen, da gibt es keine heiße Luft. Was gesagt wird, passiert auch.“ Gerade in einer Zeit, in der vieles immer schneller ins Wanken gerät, gibt das im Alltag Halt. „Für uns als Bank ist es wichtig, dass wir Kunden und Mitarbeitenden gleichermaßen Sicherheit geben. Es zählt die langfristige Beziehung und nicht die kurzfristige Rendite. Mit dem Staat Liechtenstein als Hauptaktionär im Rücken befinden wir uns in einer sehr komfortablen Situation. Am Ende ist genau diese Stabilität die Basis, die es uns ermöglicht, in größtmöglicher Freiheit gute Entscheidungen zu treffen.“
Vielleicht ist es die Weite, die uns beide hier oben auf der Dachterrasse in der Heßgasse an diesem Tag so sehr berührt. Natalie Flatz spürt bestimmt Ähnliches, wenn sie zuhause am Arlberg oder auf ihrer Lieblingsinsel Sylt ist. Sofort legt sich diese wohltuende Ruhe über den Geist.

Von einer Zeit der Dunkelheit erzählt sie mir noch, als wir uns verabschieden: Wenige Wochen bevor die damals 23-Jährige ihre Sachen packt, um nach Maastricht zu gehen, verstirbt ihr Vater überraschend. Ihr Elternhaus war bis dahin der Ort, an dem sie sich am sichersten fühlte. „Ich wusste nicht mehr, ob es eine gute Idee war, gerade jetzt so weit wegzugehen.“ Doch sie wagt den Schritt – und rückblickend war es auch die richtige Entscheidung. Unvermittelt erwachsen zu werden, sich Situationen zu stellen, die zunächst unüberwindbar erscheinen – und dann zu erkennen, dass es immer einen Weg gibt. Wahrscheinlich wäre sie beruflich nicht dort, wo sie heute ist, wenn sie diesen Schritt nicht gewagt hätte. „Für mich hat diese Zeit rückblickend gezeigt, wie stark man innerlich sein kann und was man alles schaffen kann. Sie hat mir viele neue Perspektiven eröffnet und mir erst wirklich bewusst gemacht, was beruflich alles für mich möglich ist.“ Zurückzukehren war dann eine ganz bewusste Entscheidung, die sie bis heute stärkt.
In schwierigen Zeiten hält sich Natalie Flatz an zwei einfache Grundsätze: Einerseits, sich nicht drängen zu lassen und keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen. „Ich habe gelernt, dass es viel mehr Zeit, Energie und oft auch Geld kostet, die Folgen von überhastet getroffene Entscheidungen wieder geradezurücken Und zweitens braucht es ein Grundvertrauen in sich selbst und die Fähigkeit, richtig zu handeln. Denn ich bin überzeugt, wer Sicherheit in sich trägt, kann auch anderen Sicherheit geben.“
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